„Woher kommen die Informationen?“ (2024)

Er ist einer der Urv�ter k�nstlicher Intelligenz. Der geb�rtige Dresdner Richard Socher entwickelte lange vor ChatGPT eine KI-Suchmaschine. Doch jetzt geht’s erst los

Es muss ein merkw�rdiges Gef�hl f�r Richard Socher sein. Zu sehen, wie seine Vision von der Internetsuche der Zukunft Wirklichkeit wird. Sowohl OpenAI als auch Google stellten j�ngst neue Versionen ihrer LLMs (Large Language Models) vor, die so gut sind, dass sie an den Film „Her“ erinnern. Darin verliebte sich der Protagonist in sein Betriebssystem. Sowohl ChatGPT von OpenAI als auch Googles Gemini k�nnen jetzt sprechen, sehen, h�ren, rechnen und Kontext verstehen, komplexe Gespr�che f�hren.

Der Kampf um die KI-Vorherrschaft geht damit in die n�chste Runde. Die Hauptkontrahenten: Microsoft, die sich mit Milliarden-Investments in OpenAI die KI-Kompetenz erkauft haben. Und Google, die noch vor wenigen Jahren einen riesigen Vorsprung hatten in Sachen KI, nun aber um ihr Quasi-Monopol k�mpfen m�ssen. Dabei w�re all das ohne Richard Socher nicht m�glich gewesen.

Er gilt als einer der Urv�ter der Technologie. Vor acht Jahren ver�ffentlichte der geb�rtige Dresdner seine Doktorarbeit �ber Natural Language Processing, die zu den meistzitierten Arbeiten rund um das Thema geh�rt. Sp�ter arbeitete er als Chefwissenschaftler beim Softwarekonzern Salesforce und brachte deren KI, Einstein, auf den Weg, die das virtuelle Arbeitsleben erleichtert – unter anderem durch einen Assistenten, der bei vielen Routineaufgaben hilft. 2020 gr�ndete er schlie�lich You.com, die erste KI-basierte Suchmaschine der Welt. Lange bevor OpenAI und Google ihre Produkte vorstellten. Eigentlich war er allen voraus.

Herr Socher, die k�nstliche Intelligenz beherrscht die Schlagzeilen. Alle gro�en Tech-Konzerne stellen gerade ihre eigenen Projekte vor. So wie Sie sich das immer vorgestellt haben?

Vor zehn Jahren habe ich mich gef�hlt wie in einer absoluten Nische, wenn ich davon gesprochen habe, dass KI alles revolutionieren wird. Heute ist das offensichtlich und allen klar. Gerade erleben wir einen richtigen Hype und es flie�t teilweise auch zu viel Geld.

Zu viel?

Einige Firmen erleben riesige Finanzierungsrunden, obwohl sie keine f�r den Markt sinnvolle Anwendung haben. Aber das wichtigste ist: Die Fortschritte sind da. Es wird keinen KI-Winter mehr geben.

Diese Fortschritte haben auch Sie mit Ihrer Grundlagenforschung m�glich gemacht. Sie hatten mit You.com die erste chatbasierte KI-Suchmaschine am Markt. War es frustrierend, dass OpenAI mit dem Launch von ChatGPT am Ende den globalen Ruhm eingeheimst hat?

Ich freue mich f�r die Kollegen. Wir haben jahrelang versucht, den Leuten die KI-Suche schmackhaft zu machen, aber viele klebten an Google und den blauen Links und scheuten Ver�nderung. Das ist seit dem Erfolg von ChatGPT anders. Jetzt begreifen es viel mehr Menschen.

Das ist nat�rlich auch gut f�r uns. Aber ja, ich muss gestehen: Ein bisschen frustrierend war es schon.

Was kann You.com besser als ChatGPT?

Der gr��te Unterschied sind die Quellenangaben. Die liefert unser Chatbot gleich mit: Woher kommen die Informationen, wo kann ich das nachlesen? Bis vor Kurzem konnte ChatGPT auch keine komplexen mathematischen Probleme l�sen, wir aber schon. Wir haben auch Premium Funktionen, f�r die wir eine Geb�hr erheben. Wenn ich beispielsweise nach den Konsequenzen und dem Hintergrund des Peloponnesischen Krieges frage, bekomme ich nicht nur zwei kurze Antworten, weil ich nach mehreren Dingen gefragt habe, sondern im Grunde einen personalisierten Wikipedia-Eintrag mit Quellenangaben und Schaubildern. Ich bin oft selbst �berrascht, wie viel genauer wir teils sind. Wir haben auch einen Multimodal-Modus.

K�nnen Sie den kurz erkl�ren?

Manchmal ist die beste Antwort auf eine Frage nicht Text, nicht Sprache. Wenn ich frage: Was ist der B�rsenwert von Salesforce? Dann w�re doch ein Schaubild interessant, das mir den Verlauf �ber einen bestimmten Zeitraum zeigt. Und ich kann direkt im Anschluss fragen: Wer ist deren CEO? Und der Chat-Assistent wei� genau, dass ich Salesforce meine, und zeigt Bilder von Marc Benioff.

Wir haben auch eine News-App, die aktuelle Nachrichten dazu anzeigt. So etwas konnten andere KI-Bots lange nicht.

Google hat Milliarden mit dem Ausbeuten unserer Daten und Privatsph�re verdient. Wenn man deren neuesten KI-F�higkeiten so anschaut, wird das auch in Zukunft so bleiben. Microsoft r�stet mithilfe von OpenAI ebenso auf. Sie wollen dagegen Nutzerdaten sch�tzen. K�nnen Sie trotzdem mithalten?

Na ja, wir m�ssen keine absurden Milliarden verdienen. Wir sind auch mit weniger Marktanteil gl�cklich. Aber ja: Wir waren wahnsinnig streng beim Thema Privatsph�re. Das hat sich inzwischen ein wenig gelockert. Den meisten Nutzern ist es ohnehin nicht so wichtig, und es ist unheimlich schwer, so ein Unternehmen zu f�hren. Besonders, wenn die Konkurrenz �berhaupt nicht darauf achtet. Aber der Markt ist gro�, da mache ich mir keine Sorgen.

Aktuell herrscht viel Unsicherheit, wie die KI-Revolution den Arbeitsmarkt beeinflussen wird. Es gab schon Entlassungswellen. Sie haben dar�ber gesprochen, dass vor allem repetitive Arbeit ersetzt wird und alle nur produktiver werden. Ist es so einfach?

Was ich beobachtet habe, ist, dass die KI den durchschnittlichen Arbeiter deutlich besser und produktiver macht. Aber die Besten ihres Fachs, die kreativsten Programmierer, profitieren nicht so sehr davon. Sie denken ganz anders. Aber es wird ein paar Bereiche geben, in denen die KI so erstaunlich gut werden wird, dass sie unterdurchschnittliche Leute komplett ersetzen kann. Ich sage es ungern, aber eine dieser Branchen k�nnte der Journalismus sein.

Der Journalismus ist Kummer gew�hnt.

Wenn ich ein Journalist w�re, dessen Aufgabe es ist, Pressemeldungen umzuschreiben, dann w�re mein Job in Gefahr. Aber auch hier: Es wird weiterhin Reporter brauchen, die herumreisen, mit Menschen sprechen, vor Ort recherchieren.

Was ist mit all den Menschen, die keine Lust darauf haben, etwas Besonderes zu sein, die einfach ihren stressfreien Job bis zur Rente machen wollen?

Wer eher faul ist und sich nicht ver�ndern m�chte, nicht lernen will, der wird es schwer haben. Aber gut, in Europa gibt es wenigstens Sozialsysteme. Die USA sch�tzen ihre B�rger nicht. Ohne Initiativen wie Trailhead von Salesforce, wo Menschen ohne Vorbildung zu qualifizierten IT-Jobs kommen, gibt es dort wenig Aufstiegschancen f�r bestimmte Teile der Bev�lkerung. In Europa gibt es kostenlose Universit�ten. Auf der anderen Seite ist Deutschland weniger gut auf gestellt, um von den immensen Vorteilen der KI-Revolution zu profitieren.

Woran liegt das?

Hier herrscht gegen�ber der Technologie eine Grundskepsis, die es in den USA so nicht gibt.

Na ja, im Silicon Valley gibt es inzwischen zwei Lager. Die einen, denen es nicht schnell genug gehen kann, und die anderen, die katastrophale Auswirkungen der KI auf die Gesellschaften f�rchten.

Ich finde das albern. Nat�rlich muss man bei der Entwicklung solch einer m�chtigen Technologie vorsichtig sein. Aber es ist doch so: Jede Erfindung kann in den H�nden der falschen Leute gef�hrlich sein. Sich zu f�rchten, dass die KI die Weltherrschaft �bernimmt, ist Science-Fiction. Das wird nicht eintreffen. Schon allein, weil keine Firma auf der ganzen Welt an einer KI arbeitet, die sich eigene Ziele setzt. Wie sollte man damit Geld verdienen? Das ergibt keinen Sinn.

Vielleicht nicht die Weltherrschaft. Aber ernsthafter Schaden kann entstehen. Selbst bei OpenAI entbrannte innerhalb der Firma im vergangenen Jahr ein erbitterter Streit dar�ber. Der Chefwissenschaftler wandte sich gegen CEO Sam Altmann, der f�r kurze Zeit entlassen wurde.

Da liefen andere Dinge hinter den Kulissen ab. Ich glaube nicht, dass er sich auf die Seite der Schwarzseher geschlagen hatte. Aber klar, es gibt kurzfristig negative Konsequenzen. Wir erleben das gerade mit Illustratoren: Ich verstehe absolut, dass diese Leute sauer sind, wenn die KI ihnen Auftr�ge wegnimmt. Aber: Noch nie wurden so viele k�nstlerische Ideen umgesetzt wie in den vergangenen zwei Jahren. Bevor es Webst�hle gab, war es auch sehr teuer und schwierig, gro�e Mengen an Kleidung herzustellen. Unterm Strich war Automatisierung immer gut. In der Biologie sind die Konsequenzen dramatischer. Da gibt es die M�glichkeit, t�dliche Viren noch t�dlicher zu machen. Das hat durchaus einen Zweck: Denn ich kann schon Medikamente entwickeln, bevor diese Virusvarianten in der Natur auftreten. Dennoch hat die USA diese Forschung verboten. Da sehe ich auch ein, dass man sehr stark reguliert. Gleichzeitig ist der Bereich irre spannend. In der Biologie ist es nur schwieriger, diesen ChatGPT-Moment zu schaffen, weil alles Jahre dauert.

„K�nstliche Intelligenz ist nur so gut wie die Systeme, die Menschen, die Daten“

Auch die Unternehmen selbst regulieren in gewisser Weise. Googles Gemini sorgte f�r Lacher, weil das System darauf trainiert wurde, inklusiv zu sein, und so historisch falsch geantwortet hat. Es zeigte Bilder weiblicher P�pste. Wie blicken Sie darauf?

Die KI ist ein neues Werkzeug f�r die Menschheit, ihre Ziele durchzusetzen. Sie ist nur so gut wie die Systeme, die Menschen, die Daten. Aber ja, das Woke-Pendel ist schon sehr in die eine Richtung ausgeschlagen bei Google. Da ergibt es vielleicht durchaus Sinn, ein wenig gegenzusteuern.

Elon Musk arbeitet an einer Anti-Woke-KI, was ein wenig nach Superb�sewicht klingt.

Unser aller Ziel sollte es sein, so faktennah wie m�glich zu bleiben. Soll man die KI so manipulieren, dass sie die Welt zeigt, wie man sie gerne h�tte, oder die Welt widerspiegeln, wie sie eben ist? Diese Frage haben wir uns nat�rlich auch gestellt. Unser Chatassistent soll so wenig Vorurteile wie m�glich haben.

Na ja, das Internet ist voller Vorurteile.

Wir passen nat�rlich auf, dass You.com nicht die ganz extremen Positionen ausspuckt. Aber es kommt vor, dass Leute versuchen, unseren Assistenten dazu zu bringen, die politisch unkorrekteste Antwort zu geben. Die bekommen sie auch, wenn sie explizit danach fragen. Es gibt diese extremen Meinungen. Es w�re falsch, sie zu ignorieren.

Wie w�rden Sie KI regulieren?

KI beeinflusst alle Industrien. Und jede Sparte muss sich Gedanken machen, wie sie damit umgeht. Ein Beispiel: Eine Freundin von mir hat eine Technologie entwickelt, mit der befruchtete Eizellen darauf getestet werden k�nnen, welche Gendefekte das sp�tere Kind haben wird. Das ist revolution�r und in Deutschland ein heikles Thema. Die Gesundheitsbeh�rden und Ethikr�te werden so einen Fall f�r sich kl�ren. Da muss es kein �bergeordnetes EU-Gesetz geben, das alles M�gliche abdeckt.

Sie sind kein Fan von staatlichen Vorgaben?

Die k�nnen sinnvoll sein und gut funktionieren. Wenn bestimmte Rahmenbedingungen vorgegeben werden. Ich war beispielsweise immer gegen alle KI-Entwicklungen, die mit Milit�r zu tun haben. Aber mit dem Angriffskrieg in der Ukraine hat sich das ver�ndert. Manche L�nder bauen automatische T�tungsmaschinen. Wie sollen wir dem begegnen ohne eigene Innovationen? Eine Landmine t�tet auch jeden, der drauftritt. Vielleicht w�re KI-Unterst�tzung hier sogar besser. Aber in dem Bereich ist Regulierung wirklich kompliziert.

Sie leben im Silicon Valley, aber beraten die Bundesregierung und beobachten, was in Deutschland passiert. Sind wir abgeh�ngt oder haben Sie noch Hoffnung f�r uns?

Definitiv. Ich w�rde beispielsweise gerne ein allgemeines Sprachmodell f�r die Wissenschaften umsetzen. Deutschland ist daf�r perfekt aufgestellt, wenn man auf die naturwissenschaftlichen Errungenschaften der vergangenen hundert Jahre hier blickt. Die KI kann dieses Wissen noch erweitern.

„Woher kommen die Informationen?“ (2024)
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Author: Eusebia Nader

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